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Täter zu Opfern? (Teil 3)



Aus derartig unwiderstehlichen Erzählungen quillt auch noch eine ganz andere Frage hervor: Ist es überhaupt legitim, die heute sehr alten Menschen, die damals angeblich Verbrechen begangen haben sollen, auszuquetschen? Leiden die nicht sowieso schon genug an dem, was sie getan haben? Wird ihnen nicht gar Unrecht angetan? Die Schuldfrage verlagert sich hier: Schuld haben auf einmal die, die unangenehme Fragen stellen. Schuld haben die, die die Opa- und Oma-Generation nicht anerkennen. Hier zeigt sich, in Übertragung medialer Inszenierungen auf reale, eine neue Dialektik im Generationenverhältnis. Schuld bekommen (auch) die Kinder oder Enkel: nämlich die, ihren Angehörigen, die den Krieg erlebten, die nötige Einfühlung und Anerkennung zu verweigern.

Der Umbau der Täter- zur Opfergesellschaft vollzieht sich zur Zeit auf verschiedenen Ebenen. Er tastet sich auch an den offiziellen Diskurs heran. Bestes Beispiel ist die Diskussion um die deutschstämmigen Vertriebenen in der ehemaligen Tschechoslowakei. Welzer stellte abschließend fest, dass das Thema Nationalsozialismus an Bedeutung gewinnt, entgegen der Annahme, dass die Bedeutung mit dem Aussterben der Erlebtengeneration verschwinden würde. Er plädiert dafür, nationalsozialistische Geschichte und Verbrechen sozial und zeitlich nah zu bringen, anstatt diese dem Abstrakten zu überlassen. Denn Welzer weiß: Wirklich wirkungsmächtig sind die Geschichten, die nahe gehen.

Welzer stellt schließlich zwei unbeantwortete Fragen: Welche Nachhaltigkeit haben derartige kollektive Gewalterfahrungen wie die, die aus ganz unterschiedlichen Positionen heraus im Nationalsozialismus getätigt oder erlitten wurden. Wie prägen sie die kommenden Generationen, beispielsweise die Erziehungsstile? Und die zweite Frage: Wie kann es eigentlich kommen, das Gesellschaften innerhalb von Monaten ihr Gesicht völlig verändern, dass aus Universitätsprofessoren Killermaschinen werden?