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Nummer 3202 hat überlebt (30.06.2004)





Wladimir Timofejew:
Von 1942 bis 1945 Zwangsarbeiter bei Benteler in Bielefeld




Am vergangenen Freitag erzählte Wladimir Timofejew in der Stadtbibliothek Brackwede aus seinem bewegten Leben. Er war von 1942 bis 1945 in Bielefeld: Als Zwangsarbeiter bei Dürrkopp und Benteler

Von Manfred Horn

24 Stunden war er unterwegs. Der 74-jährige Wladimir Timofejew nahm die Busreise aus dem litauischen Ape nach Bielefeld auf sich, um noch einmal die Stadt zu sehen, in der drei Jahre lang einen Teil seiner Jugend verbrachte. Unfreiwillig. Denn eigentlich lebte er damals im Distrikt Pskovo in Russland. Doch das Land war von deutschen Truppen besetzt. Der damals 13-jährige Timofejew lebte mit seiner Familie in einer Erdhütte, der Hunger war groß. Also ging Timofejew bei den deutschen Soldaten betteln. Das klappte anfangs ganz gut, doch beim fünften Mal sagte ein Offizier: »Du bist ein Spion« und ließ ihn festnehmen. Eine Odyssee begann, über Lettland, wo er auf dem Weg zur Toilette fliehen konnte und bei einem deutschen Bauern Unterschlupf fand, für den er dann arbeiten musste. Im Juni 1942 sagte der dann plötzlich: »Du kommst nach Deutschland«.


»Guten Abend, Kameraden«

»Guten Abend, Kameraden«, so leitete Timofejew die Erzählung seiner Lebensgeschichte am Freitag Abend in der Stadtbibliothek Brackwede ein. Er spricht auch nach 60 Jahren noch ein bisschen deutsch. Das Deutsch, das er damals in seinem Überlebenskampf benötigte. Timofejew sprudelt über vor Geschichten und Einzelheiten. Es scheint, als hätten sich seine Jahre in Bielefeld tief in sein Gedächtnis eingebrannt. In russischer Sprache quellen sie aus ihm heraus, einfühlsam übersetzt von Tanja Schuh vom Verein ›Gegen Vergessen, für Demokratie‹, der Timofejew für eine Woche nach Bielefeld eingeladen hatte.

1942 kommt Timofejew zunächst nach Simsen nahe der deutsch-französischen Grenze in ein großes Sammellager im Wald. Die allierte Lufwaffe, bittere Ironie des Krieges, bombardiert die Umgebung des Lagers. Timofejew muss die Trümmer wegräumen. Dann wird er in einem Güterwagon nach Bielefeld verbracht. Der schmächtige Junge mit der Registrierungsnummer 3202 – die Zahl wurde ihm nicht auf den Arm tätowiert, sondern auf die Kleidung genäht, weil sein Arm zu dünn war – erregte kein besonderes Interesse. Den Weg zum Zwangsarbeiterlager auf dem Johannesberg reist er im Kofferraum eines Offiziers, weil dieser wohl denkt, Timofejew ist nicht größer als ein Koffer und auch nicht mehr wert.




Gespräch im Schatten der Vergangenheit:
Wladimir Timofejew, Tanja Schuh und Petra Krasa (Stadtarchiv, Verein Gegen Vergessen, Für Demokratie). Im Hintergrund Bilder vom 13-jährigen Timofejew als Zwangsarbeiter