Webwecker Bielefeld: Träume fliegen

Das Kind im Manne, poetisch



»Wenn Träume fliegen lernen«

Von Harald Manninga

Wenn nicht vorher klar gewesen wäre, dass Johnny Depp einer der großartigsten Filmschauspieler ist, jetzt spätestens wäre der Beweis erbracht. Und die »Academy« honoriert das schon mal mit einer Oscar-Nominierung als Bester Hauptdarsteller. Drücken wir ihm den Daumen, verdient hätte er ihn eh langsam mal. Er freut sich zwar gar nicht über die Nominierung, wie zu hören ist: Letztes Jahr war er ja schon für »Fluch der Karibik« nominiert, hat aber keinen Preis abbekommen, und der Gedanke, dass er nochmal leer ausgehen könnte, ist natürlich kein schöner: Wieder einen langen Abend blöd rumsitzen, womöglich wieder nix abkriegen, es gibt keine Getränke, und außerdem noch die ganze Zeit nicht rauchen dürfen, das ist dann schon hart. Und genauso hart ist ja die Konkurrenz, allein Jamie Foxx für seinen »Ray« (Foxx könnte gar mit zwei Preisen davonkommen, für »Collateral« ist er in der Besten Nebenrolle nominiert.) ... Oder DiCaprio... Oder auch mal Clint Eastwood.


Depp spielt den schottischen Dramatiker James M. Barrie. Dem geht grad einiges schief: sein letztes Stück ist ein Flop, in der Ehe kriselt es, die Londoner Society, am Beginn des 20. Jahrhunderts noch ziemlich »viktorianisch«, hält auf Distanz. Aber was wäre London ohne seine schönen Parks! Da kann man mit dem Hund wunderbar spazieren gehen und spielen, außerdem sich zu neuen Stücken und Stoffen inspirieren lassen. Gut gedacht: Im Kensington Park trifft er die schöne Witwe Sylvia Llewelyn Davies (Kate Winslet) und ihre vier Söhne. Es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft, die Davies werden eine Art Ersatzfamilie für Barrie, und daraus entsteht sein bekanntestes und erfolgreichstes Stück: »Peter Pan« (der Roman kam erst später).


Die Geschichte basiert auf historischen Tatsachen und dem Stück »Der Mann, der Peter Pan war« von Allan Knee. Film und Stück gehen mit der Historie etwas locker um (die Davies-Söhne waren z.B. fünf, nicht vier, und Vater Arthur Davies lebte noch, als Sylvia und James sich trafen), aber das ist eigentlich völlig egal, denn darum geht es überhaupt nicht. Sondern es geht um die Macht der Fantasie, das richtige Leben (im Gegensatz zum bloß wahren) und die großen und kleinen Gefühle, die beides so wertvoll machen.


Und alles zusammen trifft den Zuschauer mit ungeheurer Wucht! An diesem Film stimmt einfach so gut wie alles. Da ist zunächst das Zusammenspiel von Johnny Depp und Freddie Highmore, der den kleinen Peter Davies spielt. »Peter« steht noch ganz unter dem Eindruck des Verlusts seines Vaters, und die fantasievolle Verspieltheit des »großen Jungen« James Barrie, der den Davies-Kindern zeigt, wie man mit Bären tanzen kann, Indianer oder Pirat sein, Drachen steigen lassen und Geschichten erfinden, ist für ihn nur dummes Zeug. Zunächst jedenfalls. - Zwischen Depp und Highmore knistert es nur so! (Schöne Aussichten für den Herbst: die beiden spielen zur Zeit auch in der Neuverfilmung von Roald Dahls Kinderroman »Charlie und die Schokoladenfabrik« zusammen.) Aber schon Depp alleine ist wieder einmal einfach wundervoll in seiner Rolle.


Ebenso beeindruckend: Der Schnitt dieses Films, ebenfalls für einen Oscar nominiert übrigens, und ebenfalls ganz zu recht! So geschickt und nahezu übergangslos wurde wohl selten zwischen Fantasiewelt und Realität hin und her changiert, und wenn es einmal im Theatersaal regnet, dann ist das ganz natürlich und richtig so. Ein Changement, das von der geradezu unauffällig scheinenden Musik von Jan Kaczmarek aufs Beste unterstützt wird. Opulente Bilder, herrliche Kostüme, eine zu Herzen gehende Geschichte (die dabei auch noch ohne Kitsch und Rührseligkeit auskommt), großartige Nebendarsteller, zu denen der schon Peter-Pan-erfahrene Dustin Hoffman und Julie Christie gehören... – Toll!


Ein hinreißender, anrührender Film, der nicht nur Heulsusen die eine oder andere Träne herauslocken wird.