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Vera Broido, »Tochter der Revolution. Erinnerungen«



Titel: Tochter der Revolution. Erinnerungen
Vielleicht ist der einen oder dem anderen der Name Broido bekannt? Vera Broido, die Autorin des Titels „Tochter der Revolution“ stand Anfang der 30er Jahre dem dadaistischen Künstler Raoul Hausmann für seine berühmten Aktfotografien Modell. Diese Fotografien haben auch heute noch eine besondere Ausstrahlung. Aber auch die Mutter Eva Broido ist keine Unbekannte. Sie veröffentlichte bereits 1929 ihre Lebenserinnerungen unter dem Titel: „Wetterleuchten über Russland“. Eva Broido, geboren am Ende des 19.Jahrhunderts in einem jüdischen Stettl Litauens schilderte ihre Kindheit und Jugend, ihren Weg von der jugendlichen, begeisterungsfähigen jungen Frau zur bewussten politischen Sozialistin. Ihre Erinnerungen sind außerordentlich anschaulich und ebenso persönlich, eindeutig aus der Position einer Frau, die sich in der politischen Bewegung als Gleiche unter Gleichen entwickeln kann und anerkannt wird. Sie beschreibt die Zustände und Entwicklungen in Russland, vom Zar über die Revolution bis zu den Konflikten zwischen den unterschiedlichen sozialistischen Strömungen, wobei sie sich eindeutig für einen basisdemokratischen Sozialismus entscheidet. Ihre jüngste Tochter Vera, 1907 geboren, wirft in den eigenen Lebenserinnerungen einen Blick zurück bis in die 30er Jahre. Glücklicherweise gelang Vera Broido 1934 vor der völligen Entrechtung und Vernichtung der europäischen JüdInnen durch die deutschen Nationalsozialisten zusammen mit ihrem Bruder die Flucht nach England. Dort lebte sie bis zu ihrem Tod am 11. Februar 2004.
Als betagte ältere Frau in den 90er Lebensjahren schreibt sie diese Erinnerungen in einem überraschend lebendigen, jugendlichen, schwungvollen Tonfall. Vera Broido bietet in diesem wunderschönen Buch eine überaus lesenswerte Mischung aus Biographischem, Politischem und Zeitgeschichtlichem. Sie beschreibt mit neugierigem Blick Gebiete und Städte wie Sibirien, St. Petersburg, Wien, Berlin, Paris. Sie trifft und porträtiert unterschiedlichste Menschen aus Politik und Kultur z.B. Ilja Ehrenburg oder KünstlerInnen wie Alexandra Exter, Kurt Schwitters.
Vera Broido Eltern waren bereits seit 1890 in marxistischen Gruppen aktiv, die für die Fabrikarbeiter Bibliotheken organisierten und oftmals neben der politischen Schulung als Grundlage Lesen und Schreiben vermittelten. Diese fortschrittliche Tätigkeit führte sie bereits vor Veras Geburt in die Verbannung nach Sibirien. Zu diesem revolutionärem Paar passt es, dass sie im Gefängnis heirateten, den Hochzeitsring von einer Gefangen borgen mussten und die Hochzeitsnacht in getrennten Zellen verbrachten. Vera Broidos erste Prägung in dieser Familie ist nicht überraschend. „Von frühesten Kindheitstagen hat man mich gelehrt, diesem universellen Fest, jener Erfüllung all unserer Hoffnung entgegenzusehen. DER REVOLUTION. Meine Eltern und all ihre Freunde hatten ihr Leben in den Dienst der Revolution gestellt. Sie waren alle bereit, dafür zu sterben. Ich stellt mir die Revolution als etwas unbeschreibbar Herrliches und Wunderbares vor.“
Weder verherrlicht Vera Broido die Ideale ihrer Eltern, noch distanziert sie sich, als sie für sich selbst entscheidet, einen anderen Weg zu wählen.