Von Manfred Horn
Eine Familie der freien
Wahl. Davon träumen vielen, denen eine fehlt oder die sich verzweifelt
mit ihren Blutverwandten herumschlagen. Bielefelder gründtenen 1999 den Verein
Wahlfamilie. Die Mitglieder haben ihr Ziel nun erreicht: Wohnen und Leben
unter einem gemeinsamen Dach.
Jahrelang trafen sich die
Vereinsmitglieder in der Bürgerwache. Als ein Rollstuhlfahrer zur Gruppe stieß,
war es damit vorbei. Denn der Gruppenraum im ersten Stock war mit einem Rolli
nicht zu erreichen und der Raum im Erdgeschoss belegt. »Wir waren aber immer
sehr gerne in der Bürgerwache, sie war unser Vereinslokal«, blickt Bruno Peters
zurück.
Bruno Peters ist seit der
Vereinsgründung dabei. Heute steht er zusammen mit seinen Wahlverwandten im
nagelneuen Haus. Sie beraten, wie der Gemeinschaftsraum gestaltet werden soll.
Am Tegeler Weg, einem Neubau-Gebiet mit dem schönen Namen Hof Hallau in
Sichtweite zur Universität, fand der Verein nach langem Suchen eine geeignete Stelle
und mit der Ravensberger Heimstättengesellschaft einen willigen Bauträger. Von
Anfang an war den Vereinsmitgliedern klar, dass ein Hauskauf nicht in Frage
kommt: »Zu viel Risiko«, meint Bruno Peters. Wer wisse schon, ob sich die
Bewohner nach einem Jahr noch grün sind.
Wahlfamilie mit Schwund
Im November 2005 rückten die
Bauarbeiter an, nun, elf Monate später, zieht die Wahlfamilie ein. Die fällt
kleiner aus als geplant: In den vergangenen Wochen entschieden sich einige,
doch in ihren alten Wohnungen zu bleiben. So belegt die Wahlfamilie nur sieben
Wohnungen. Damit das dreistöckige Haus voll wird, hat der Verein Alt und Jung
die restlichen sechs Wohnungen angemietet. Dort wohnen künftig von Alt und
Jung betreute Senioren.
»Ich will mich einfach nicht
mehr alleine fühlen«, sagt die 67-jährige Wahlfamilierin Helga Vormfeld. Sie
wohnte bisher in Steinhagen. Alleine, denn ihre eigentliche Familie hat sich
längst aufgelöst. Die Gedanken an den nahen Umzug stürzen ihre Gefühlswelt ins
Chaos. Mit der neuen Wohnung tauscht sie Vertrautes gegen Unbekanntes ein. Da
entstehen Ängste. Von den Älteren bringt niemand WG-Erfahrungen mit.
Jeder Mieter hat seine
eigene Wohnung, zwischen 47 und 74 Quadratmeter groß. Eine WG-light. »Solche
Rückzugsräume sind wichtig«, sagt Peters. Für ihn ist die neue Wohnform auch
Vorsorge: »Ich hoffe, wir unterstützen uns gegenseitig, wenn es nötig wird«.
Die Voraussetzungen sind gut, denn zur Wahlfamilie, zumeist Menschen im
Rentenalter, gehört auch eine junge Frau mit Tochter.
Öffentlichkeit erwünscht
Zusammenkommen will die
Wahlfamilie im Gemeinschaftsraum. Der hat auch eine eingebaute Küche. 62.000
Euro schoss die Stiftung Wohlfahrtspflege des Landes NRW zu. Dadurch konnte die
Kücheneinrichtung gekauft und die Miete für den Raum, die alle zusammen zahlen,
um die Hälfte gemindert werden. Der Raum soll aber auch die Tür nach außen
sein. So plant die Neufamilie dort nicht nur interne Koch-, Lese- oder
Spieleabende, sondern auch öffentliche Lesungen.
Besucher können das Haus von
weitem erkennen: »Die Fassade hat Masern«, sagt Monika Detering, eine weitere
künftige Mieterin in dem Haus am Tegeler Weg. Die Klinker der Hauswand
changieren irgendwo zwischen Gelb und Rot. »Darauf hatten wir leider keinen
Einfluss«, bedauert sie.
Andere Dinge konnten die
künftigen Bewohner aber bestimmen. Ursprünglich wollte der Bauträger die
Balkone zur Südseite bauen. Dort scheint zwar die Sonne, aber da rattert auch
die Straßenbahn. Also setzte die Wahlfamilie durch, dass die Balkone gen Norden
ausgerichtet wurden. »Da blicken wir ins Grüne«, sagt Detering und schiebt ein
»noch« hinterher. Denn sollte der Uni-Erweiterungsbau kommen, wird das Grün
verdeckt sein. Auch richtete der Vermieter auf Wunsch einen Raum ein, in dem
Elektrorollstühle an die Steckdose können. Das ganze Haus ist barrierefrei
konzipiert.
Info: Im Frühjahr 2007
soll in der Senne der erste Bielefelder Beginenhof entstehen. Weitere
Informationen über das Frauenwohnprojekt, das ebenfalls gemeinsames Leben und
Wohnen anstrebt, im Netz unter www.bielefelder-beginen-hoefe.de
Der Artikel entstand in Kooperation mit Viertel. der Stadtteilzeitung des Bielefelder Westens. Die nächste Ausgabe erscheint Ende September. Sie ist unter anderem beim Flohmarkt auf dem Siegfriedplatz am Samstag, 30. September, erhältlich, danach in der Bürgerwache und einigen Geschäften im Westen.