Webwecker Bielefeld: mai200304

Die Geschichte des 1. Mai in Bielefeld (Teil 3)



Mit leichter Verspätung erreichte 1968 auch Bielefeld. Erleichtert meldete die »Neue Westfälische« damals: »Maikundgebung des DGB blieb völlig ungestört«. Im Vorfeld hatten sich der DGB und die Sperrspitze der Jugendrevolte »Linke Baracke« darauf geeinigt, dass die außerparlamentarische Opposition auf der Kundgebung reden dürfe. Ho-Tschi-Minh-Rufe und Vietkongfahnen fehlten jedoch in Bielefeld, der Wortlaut mitgeführter Transparente beschränkte sich auf die Forderung nach Selbstbestimmung für Vietnam oder Anti-Springer-Parolen. Willi Ohm erklärte damals für die APO: »Wir sehen in der gewaltlosen Blockade der »Bild-Zeitung« als Antwort auf den Mordanschlag gegen Rudi Dutschke ein legitimes Mittel, das dem Streik der Gewerkschaften entspricht«. Vereinzelte Pfiffe aus der linksradikalen Ecke gab es dann beim Platzkonzert des Polizeimusikkorps Wuppertal, der auf Einladung des DGB für die Musik sorgte. Jugendliche Demonstranten übertönten am 1. Mai 1974 die Rede Herbert Hinnendahls. Sie nannten den damaligen SPD-Oberbürgermeister einen »Arbeiterverräter«. Auf Transparenten in der ersten Reihe stand »Weg mit den Berufsverboten«, die gewerkschaftlichen Redner mieden das Thema. Zugleich versammelten sich auf dem Siegfriedsplatz 70 GenossInnen der KPD/ML, ein parteiliches Kind der zersplitternden 68er, zu einer eigenen Maikundgebung. Die Gewerkschaften konzentrierten sich bereits auf die Arbeitszeitverkürzung, eine Kampagne, die bis in die 80er Jahre hineinreichte und in einigen Branchen die 35-Stunden Woche brachte.

Internationalismus entwickelte sich im Zuge der Arbeitsmigration in beide Richtungen: Ende der 60er Jahre kamen die ersten MigrantInnengruppen zum 1. Mai, gleichzeitig stieg das Interesse an Befreiungskämpfen und linken Regierungen wie in Vietnam, Chile, Portugal. Seitdem bestimmen Mitgrantenorganisationen des hinteren Zugteils mit ihren roten Transparenten, kraftvollen Arbeiterparolen und gemalten »Marx-Lenin« – seltener auch »Stalin« -Transparenten. Am 1. Mai 1974 beispielsweise vertrieben GewerkschafterInnen Chile-Solidaritäts-Plaketten für 1, 50 Mark das Stück. Geschmückt mit roten Nelken, die an die Revolution in Portugal 1974 erinnerten und eine Zeit lang gewerkschaftlich schwer in Mode waren, versammelten sich Anfang der 80er immerhin noch 5000 Menschen zum 1. Mai. Eine Zahl, die heute nicht mehr erreicht wird. Stabilisierung erfolgte auf unterem Niveau. Die Gewerkschaften sind seit Jahren in der Krise, die Mitgliederzahlen sinken. Man kämpft um gesellschaftlichen Einfluß und teilweise – siehe die Finanznot der Gewerkschaft ver.di – ums eigene Überleben. Konflikte greifen die Gewerkschaften nicht entschlossen positioniert auf, man darf gespannt sein, ob und was am 1. Mai 2003 zur umstrittenen Agenda 2010 der Bundesregierung zu hören ist.